Anton Kellner
Talstr. 17
66119 Saarbrücken
Telefon 0681 - 5 34 91
www.Borreliose-Saar.de

Borreliose-Saar – das Konzept
der Praxis Kellner für Diagnose
und Therapie der Lyme-Krankheit
Zeckenbiss

Fallbericht einer chronischen Multisystemerkrankung mit entzündlicher Beteiligung des zentralen Nervensystems durch Borreliose
(Stand 10/2018)

Der Einzelfallbericht ersetzt nicht die strukturierte Untersuchung, Behandlung und Ergebnisanalyse größerer PatientInnengruppen. Er kann Therapeutin und Therapeut aber Denkanstöße geben und den Blickwinkel erweitern.

Anamnese

  • Frau, 48 J.,
  • Wiederholte fieberhafte Infekte bei berufsbedingten Reisen u. a. im Fernen Osten ohne Residuen
  • 7/2012 Zeckenstich der rechten Kniekehle während einer beruflichen Exkursion, anschließend Entwicklung einer Wanderröte, Antibiose mit 2 x 500 mg Cefuroxim, zunächst als Selbstmedikation, anschließend von Hausarzt über 4 Wochen fortgeführt, Rückbildung der Wanderröte binnen 2 Wochen,
  • 8/2012: Labordiagnostik: Borrelien-Antikörper IgM schwach positiv, Westernblot IgM positiv
  • Seit 9/2012 zunehmende Beschwerden: Müdigkeit, Leistungsminderung, Symptome von Seiten multipler Organsysteme wie Nervensystem, Sinnesorganen, Herz-Kreislauf-System, Muskulatur, Sehnen, Verdauungssystem, Haut, Immunsystem,
  • 9/2013: Schwäche beider Beine, Gehstrecke 50 m, Hemihypästhesie (halbseitige Gefühlsminderung), Parästhesien (Gefühlsstörungen), schließlich fokale cerebrale Krampfanfälle/ Krampfäquivalente (bis 30 mal pro Tag)
  • 10/2013: Aufnahme in Neurologischer Klinik: in der Kernspintomographie des Schädels (MRT) multiple entzündliche Herde, u. a. im Bereich des Hirnstamms und links occipital. In der Liquordiagnostik (Nervenwasseruntersuchung) Nachweis sogenannter oligoklonaler Banden, keine Vermehrung von Eiweiß oder Zellelementen, im Blut zu diesem Zeitpunkt Borrelien-IgM-Antikörper (ELISA) schwach positiv, Westernblot negativ

Diagnose

  • 10/2013 in der Neurologischen Klinik Diagnose eines klinisch isolierten Syndroms (meist Frühstadium einer multiplen Sklerose = MS)
  • 12/2013: wegen fehlender Besserung Einholung einer Zweitmeinung in Neurologischer Universitätsklinik, erneute Bildgebung: Diagnose einer konzentrischen Sklerose Balo (1927 von Balo erstmalig als Encephalitis periaxialis concentrica beschriebenes Krankheitsbild im Sinne einer akuten, rasch progredienten (fortschreitenden) entzündlichen Erkrankung des ZNS (zentralen Nervensystems), in früheren Zeiten binnen wenigen Monaten zum Tode führend, Diagnose post mortem (nach dem Tode) durch Nachweis charakteristischer konzentrischer, "schießscheibenförmiger" Herde des Gehirns, heutzutage frühe Diagnose durch moderne Bildgebung. Einordnung als Variante einer akuten, schubförmigen MS, heute Verbesserung der Prognose durch aggressive Therapie, insgesamt seltene Erkrankung – z. B. in der Literatur 5 dokumentierte Fälle weltweit bei Kindern)
  • Einschluss in eine Studie (Charite Berlin, 8 Patienten bundesweit)
  • 3/2014 Vorstellung in der Praxis Kellner mit der Frage, ob doch eine Borreliose vorliegen könne
  • in Verbindung mit dem klinischen Bild nun Diagnose einer aktiven Borreliose-Infektion durch positiven Lymphozytentransformationstest (LTT):
  • chronische seronegative Borreliose und
    Neuroborreliose im Stadium 3
Fallbericht
  • Abklärung von Koinfektionen:
  • Nachweis einer Ehrlichiose, ebenfalls mit LTT
  • negative Serologie bezüglich Chlamydia pneumophila et trachomatis, Yersinia enterocolitica, Toxoplasma gondii, Babesia microtis, Bartonella henselae, Coxiella burneti, Mycoplasmen, Rickettsien, CMV (Cytomegalie-Virus), EBV (Ebstein-Barr-Virus), VZV (Varizella zoster-Virus)
  • negative PCR bezüglich JC-Virus (John Cunningham-Virus, erhöht bei Nachweis unter unten genannter Natalizumab-Therapie das Risiko für eine sogenannte progressive multifokale Leukenzephalopathie (PML), die meist tödlich verläuft)
  • Verminderung der CD 57 positiven NK-Zellen
  • Ferner Abklärung von Komorbiditäten (zusätzlichen Erkrankungen oder Belastungen) mit folgenden Ergebnissen:
  • mitochondriale Dysfunktion, Adipositas Grad 1 (BMI 31 kg/qm), Hyperlipoproteinämie (Erhöhung von Lipoprotein (a)), intestinale Barrierestörung (durchlässiger Darm, sogenannter leaky gut), multiple Nahrungsmittelunverträglichkeiten vom Typ 3, Histaminintoleranz bei Diaminoxidasemangel, Mastzellaktivierung, Nährstoffdefizite (Vitamin D, Zink, Magnesium, Selen), Metallbelastung (hohe Werte für Blei, Arsen, Aluminium, Quecksilber), Zigarettenrauchen, euthyreote Knotenstruma (Vergrößerung der Schilddrüse mit mehreren großen Knoten)

Therapie

  • 11 und 12/2013: neurologischerseits Cortisonstöße (über 3 bzw. 5 Tage, je 1000 mg Prednisolon)
  • Ab 1/2014 neurologischerseits Einführung von Natalizumab (immunmodulierend und - supprimierend wirkender monoklonaler Antikörper, der Rezeptoren an B- und T-Lymphozyten blockiert, das Andocken an Adhäsionsmolekülen der Gefäße und den Austritt der Immunzellen in entzündetes Gewebe verhindert), 300 mg alle 4 Wochen i. v. bis 12/2015
  • 6/2014 Beginn einer antibiotischen Therapie in der Praxis Kellner nach den aktuellen Leitlinien der Deutschen Gesellschaft für Neurologie: Gabe von 2 g Ceftriaxon iv über 3 Wochen. Wegen beginnender, aber geringer Symptomverbesserung Vereinbarung eines individuellen Heilversuchs nach eingehender Aufklärung. Zusätzliche Einnahme von Hydroxychloroquin (H) oral, Fortführung der Ceftriaxontherapie für weitere 3 Wochen, danach Minocyclin (M) in therapeutischer Dosis (200 mg unter Blutspiegelkontrolle) plus Quensyl (Q, 200 mg), später orale Gabe von Azithromycin gepulst. Nach kritischer Bewertung des bisherigen Verlaufs nach Pause Doxycyclin 400 mg iv gepulst plus Metronidazol iv / oral über 10 Tage (nach Burrascano). Zuletzt erneut M / H. Vorläufige Beendigung der antibiotischen Therapie 2015.
    Begleittherapie: Ernährungsumstellung, Probiotika, Vitamin D, Magnesium, Zink, antiinflammatorisch wirkende Polyphenole, passager Antihistaminikum, Ketotifen, 2016 intermittierende intravenöse Metallausleitung mit Chelatoren

Verlauf, Ergebnisse

  • Vor Beginn der Antibiose unter Prednison und Natalizumab stabiler Zustand, konstante hohe Symptombelastung, weitgehende Unfähigkeit zu jeglicher Teilhabe am Alltagsleben
  • 5/2014 MR-Kontrolle: unveränderter Befund bezüglich der entzündlichen Herde
  • Unter Antibiose deutlicher, kontinuierlicher Symptomrückgang
  • Subjektiv und objektiv gute bis befriedigende Verträglichkeit der Antibiose
  • 12/2014 Verschlechterung der neurologischen Symptome unter Azithromycin
  • 2/2015 MR-Kontrolle: Größenabnahme aller Herde, komplettes Verschwinden eines Herdes
  • nach Beendigung der Antibiose zunehmende Nebenwirkungen der Natalizumab-Therapie, deshalb in Konsens mit dem angenehm aufgeschlossenen behandelnden Neurologen Abschluss der Antikörper-Behandlung
  • ausgezeichnete Kooperation mit dem am Wohnort behandelnden Hausarzt
  • eingeschränkte, langsam besser werdende körperliche Leistungsfähigkeit.
    10/2018 nach eigener Aussage gute Lebensqualität, wenn genug Achtsamkeit gegeben ist, weitgehende Besserung der geistigen Funktionen
  • bis heute in größeren Zeitabständen vorübergehende Verschlechterungen der Konzentrations- und Merkfähigkeit, erträgliche Schmerzschübe der Extremitäten über 4-5 Tage mit Erfordernis der Schonung. Wegen einer Phase konstanter Symptomverschlechterung mit Nachweis einer erneuter Borrelien-Präsenz durch positiven LTT ab 9/2017 wiederum Behandlung im Sinne eines individuellen Heilversuchs mit Minocyclin und Artemisia annua intensa (einjährigem Beifuß) über einen längeren Zeitraum bis zum Wiedererreichen des Zustandes vor Verschlechterung.
  • anlässlich wiederholter MR-Kontrollen von Schädel und gesamter Wirbelsäule (zuletzt in 10/2018) weitere Rückbildung beziehungsweise Verschwinden der vormals entzündlichen Herde
  • bei wiederholten Kontrollen nach Therapieende zunächst negativer LTT-Befund für Borrelien und Ehrlichien, bei Rezidiv erneut positives Ergebnis, nach Erreichen der Remission wieder negatives Resultat.
Fallbericht
  • weiterhin erniedrigte CD 57 positive NK-Zellen.
  • Fortführung der Begleittherapie (die Metallausleitung konnte aus Kostengründen nicht bis in den Zielbereich durchgeführt werden)
  • Berentung wegen fortbestehender Berufsunfähigkeit

Zusammenfassung und kritische Wertung

Bereits zu Beginn wies die Patientin Zeichen einer chronischen Multisystemerkrankung auf, die durch die Diagnose einer MS nicht vollständig erklärbar waren. Die Gesamtsymptomatik wurde durch die aggressive immunsuppressive bzw.-modulierende Therapie der vermuteten MS nicht gebessert. Unter antibiotischer Therapie (mit Begleittherapie und Fortführung der fachneurologischen Therapie) kam es zu einem kontinuierlichen Rückgang der Symptome. Die Normalisierung war durch multiple Komorbiditäten verzögert. Eine mögliche negative (den Therapieerfolg bremsende) Wechselwirkung zwischen der immunsuppressiven Therapie mit Natalizumab und der antiinfektiösen Behandlung kann nicht ausgeschlossen werden. Eine vollständige Wiederherstellung des Gesundheitszustandes vor Krankheitsbeginn konnte bis heute nicht erreicht werde. Die Lebensqualität wurde dennoch trotz der bekannten und derzeit noch nicht abschließend beurteilbaren Auswirkungen der Langzeitantibiose (zum Beispiel auf das Mikrobiom / das Bakterienmilieu des Körpers) massiv verbessert.

Diese positiven Ergebnisse konnten nur durch das hohe Engagement, das Expertentum in eigener Sache und den Kampfeswillen von Seiten der Patientin erreicht werden. Eine langfristige Betreuung und Nachsorge ist weiterhin erforderlich.

Letztendlich belegt die Fallbeschreibung, dass die seronegative chronische Borreliose schwierig in der Abgrenzung zur multiplen Sklerose ist und im Einzelfall mit der gängigen Labordiagnostik nicht erfasst wird. Unbedingt zu beachten sind primäre Symptome, die über eine rein neurologische Erkrankung hinausgehen und den Blick auf eine Multisystemerkrankung lenken müssen. Auch vielfältige Komorbiditäten müssen beachtet werden, weil Sie den Heilungsverlauf verzögern und erschweren. Die Spätborreliose kann sich als eine schwere, chronische, hartnäckig verlaufende Erkrankung manifestieren.

Dennoch ist eine Linderung der Symptome möglich, in weniger dramatischen Fällen auch eine Heilung. Die länger dauernde, nebenwirkungsreiche Antibiotikatherapie ist unbefriedigend und kritisch zu sehen. Die Weiterentwicklung und Evaluation alternativer Konzepte sind dringend notwendig.

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